Mehr Stress und Angst durch zu viel Zucker?

Lisa Albrecht
Lisa Albrecht
Zum Podcast
Jetzt anhören!

Zucker geht immer, oder? Nein, ganz im Ernst. Ich habe Mitte zwanzig ganz schön viel Zucker gegessen. Ich lief jetzt nicht mit einem Taschenrechner durch die Gegend, um die Zuckermenge genau zu protokollieren, aber für mein Empfinden war es nicht wenig. Vor allem fühlte ich mich total hilflos und ausgeliefert, wenn mich bestimmte Süßigkeiten, mit ihren bettelnden Augen anschauten und verlangten, sie direkt an Ort und Stelle zu vertilgen. Dann hat mein Körper mit mir endlich Tacheles gesprochen und kurzen Prozess gemacht. Er zwang mich in die Knie mit täglichen Panikattacken und krassen Stressphasen. Ich gab mich geschlagen und kümmerte mich um meinen Gesamtzustand. Der Zucker hat mir wohl doch nicht geholfen.

Verstärkt Zucker das Gefühl von Stress und Angst? Interview mit einer Ernährungsberaterin

Aber warum erzähle ich dir das alles? Neulich beim Lesen bin ich über eine Aussage gestolpert, die mich aufhorchen ließ. Ein hoher Zuckerkonsum soll sowohl Stressempfinden als auch Angstzustände oder Angstgefühle verstärken. Oha! Aber stimmt das wirklich? Sowas kann ja jeder behaupten. Ich überlegte. Wenn ich zurückblicke, würde diese Aussage sogar mehr als perfekt zu verschiedenen Momenten in meinem Leben passen. Vor meiner Schwangerschaft hatte ich jahrelang Panikattacken und Angstzustände. Außerdem habe ich den Stress extrem gespürt. Und auch mein Zuckerkonsum war sehr hoch. Klar, ich habe diesen Zustand kompensiert. Aber hat der Zucker meine Situation wirklich verschlimmert?

Auf mein Bauchgefühl möchte ich mich heute nicht verlassen. Ich habe eine Apothekerin und Ernährungsberaterin ins Boot geholt, die ich mit Fragen löchern kann. Also grob gesagt, die richtige Frau für meine Fragezeichen im Kopf. Zu den Fragen komme ich gleich, eine Sache möchte ich noch loswerden.

Verstärkt Zucker das Gefühl von Stress und Angst? Interview mit einer Ernährungsberaterin

Süßer Geschmack ist unsere Vorliebe

Ich denke, grundsätzlich ist es auch wichtig zu verstehen, dass der Mensch von Natur aus eine Vorliebe für den süßen Geschmack hat. Und das ist auch nichts Schlechtes. Wichtig ist einfach, wie man damit umgeht und wie die Ernährung insgesamt aussieht. Bereits mit der süßen Muttermilch werden wir doch auf den Geschmack trainiert. Normalerweise fühlen sich die Babys während des Stilles richtig wohl, gut aufgehoben und entspannt. Vielleicht ist das auch ein Gefühl von Freude und Zufriedenheit. Auf jeden Fall sind das positive Gefühle, die wir in Verbindung mit süßem Geschmack erleben. Und später... belohnen wir uns selbst gerne mit Süßigkeiten, wenn wir etwas geschafft haben. Auch trösten wir uns oft mit Zucker, wenn etwas schiefgegangen ist. Und das ist leider nicht immer eine gute Idee.

Verstärkt Zucker das Gefühl von Stress und Angst? Interview mit einer Ernährungsberaterin

Antje Behrendt im Interview über "Zucker und Angst"

Lisa: Liebe Antje, beobachtest du bei deinen Beratungen, dass Angst- und Stresszustände bei einem höheren Zuckerkonsum stärker von Menschen wahrgenommen werden?

Antje: Es ist schwer zu sagen, ob Zucker da alleine entscheidend ist, weil es in meinen Beratungen nie ausschließlich um Zuckerentwöhnung geht, sondern es meistens komplexere Ernährungsumstellungen sind. Wichtige Ziele sind dabei immer, die Darmgesundheit zu fördern und starke Blutzuckerschwankungen zu vermeiden, was beides nur möglich ist, wenn Zucker stark reduziert oder ganz vermieden wird. Durch die Umstellung berichten die Patient*innen dann in der Regel, dass sie ausgeglichener sind, bessere Laune haben, besser schlafen können und es auch genießen, dass sie nicht immer ans Essen denken, also die Heißhungerattacken und das Belohnungsessen ausbleibt. Das trainieren wir auch, also dass sie Essen nicht als Belohnung oder als Mittel zum kurzfristigen Glücksgefühl nutzen, sondern sie Alternativen wie Sport, Sonne, Freunde treffen, Haustier streicheln usw. als Strategie nutzen, um Glückshormone auszuschütten. Die kann man zwar tatsächlich auch mit Zucker ausschütten, aber das Glücksgefühl hält dann nur sehr kurz an.

Lisa: Ich kann mir vorstellen, dass Symptome einer Unterzuckerung wie Schwindel, Herzklopfen, Kopfschmerzen oder auch Zittern zusätzlich die Angstsymptome und auch den Stress verstärken könnten. Ich habe das bei mir selbst beobachtet: Hatte ich eine Panikattacke, war ich danach richtig erledigt. Selbst am nächsten Tag war ich wie weichgekocht. Kümmert man sich dann nicht gut um sich und seine Energieversorgung, könnte eine Unterzuckerung ähnliche Symptome auslösen, die zu Angst (bis hin zu Panikattacken) und Stress führen. Wie siehst du das?

Verstärkt Zucker das Gefühl von Stress und Angst? Interview mit einer Ernährungsberaterin

Antje: Ja, das stimmt. Deshalb ist es gerade dann ganz wichtig, Unterzuckerung zu vermeiden. Das klappt paradoxerweise am besten durch Meiden von Zucker und einfachen Kohlenhydraten wie z. B. Weißmehlprodukte, Obstsaft oder gekaufte Fruchtsmoothies. Ist der Blutzuckerspiegel konstant und man isst oder trinkt dann wieder diese Lebensmittel, steigt er zunächst sehr stark und schnell an, um direkt danach so stark abzusacken, dass man schnell unterzuckert. Die Bauchspeicheldrüse will bei hohem Blutzuckerspiegel sofort mit mehr Insulin gegenregulieren und es dann manchmal sozusagen zu gut meint und zu viel Insulin zur Verfügung stellt. Solche Unterzuckerungen treten aber bei einer Ernährungsweise mit wenig Mahlzeiten am Tag oder auch Intervallfasten gar nicht auf, wenn man Mahlzeiten isst, die aus einem kleinen Teil komplex gebundener Kohlenhydrate (Vollkornprodukte, Quinoa, Kartoffeln vom Vortrag usw.) bestehen, kombiniert mit viel Gemüse, etwas guten Fetten und hochwertigen Eiweißquellen.

Unterzuckerung ist immer Stress für den Körper. Stresshormone gewinnen dann die Überhand und sorgen dafür, dass der Blutzuckerspiegel wieder ansteigt, indem gespeicherte Glucose freigesetzt wird und weniger Insulin gebildet wird, da Insulin ja blutzuckersenkend wirkt. Wenn wir denken, dass wir jetzt Kohlenhydrate oder Zucker brauchen, ist es meistens so, dass der Körper eigentlich Mikronährstoffe, Wasser oder Eiweiß braucht und wir das Signal falsch interpretieren. Zucker selbst brauchen wir eigentlich nie, da wir die Energie notfalls selbst herstellen können (Ausnahme: Untergewicht mit viel zu geringem Körperfettanteil, aber auch dann sind komplexe Kohlenhydrate besser als Zucker).

Verstärkt Zucker das Gefühl von Stress und Angst? Interview mit einer Ernährungsberaterin

Lisa: Ich hoffe, ich habe das richtig verstanden: Wenn wir uns glücklich fühlen, wird in unserem Gehirn u. a. Dopamin ausgeschüttet, ein sogenannter Belohnungsneurotransmitter. Belohnen wir uns mit Zucker, fühlen wir uns im ersten Moment gut. Aber schnell kann das auch nach hinten losgehen und der rasche Abfall zu schlechter Stimmung und vielleicht auch Angstanfälligkeit führen. An dieser Stelle hat man zusätzlich diesen Vorher-Nachher-Vergleich, der den gefühlten Effekt verstärkt. Stimmt das?

Antje: Ja, genauso ist es. Im ersten Moment werden Glückshormone ausgeschüttet, aber kurz danach sind sie schon wieder weg. Es muss schon etwas extrem Leckeres gewesen sein, wenn man selbst beim Gedanken daran, wieder Glückshormone ausschüttet. Aber wenn man als Alternative etwas anderes macht, was auch Glückshormone ausschüttet, z. B. Sport, dann bereut man es erstens auch danach nicht, dass man das getan hat und das Glücksgefühl hält viel länger an.

Lisa: Gibt es noch andere Faktoren, die man gerne vergisst im Zusammenhang mit Zuckerkonsum und erhöhtem Stress- und Angstempfinden?

Antje: Ja, Lebensmittel wie z. B. zu viel Kaffee, Alkohol, gesättigte Fettsäuren (Fast Food, Wurst…) können das Stress- und Angstempfinden negativ beeinflussen. Ganz wichtig finde ich in dem Zusammenhang das Darmmikrobiom, weil unsere kleinen Untermieter im Darm bei guter Pflege und Fütterung mit einem abwechslungsreichen Büfett an Ballaststoffen wie eine Mega-Pharmafabrik unglaublich viele Stoffe herstellen, die unser Stress- und Angstempfinden positiv beeinflussen. Und über die Darm-Hirn-Achse existiert hier sich eine direkte Verbindung. Sowohl Präbiotika (Futter für die Darmbakterien = lösliche Ballaststoffe) als auch Probiotika (lebendige nützliche Bakterien, z. B. aus fermentierten Lebensmittel) sollten deshalb jeden Tag auf dem Speiseplan stehen.

Verstärkt Zucker das Gefühl von Stress und Angst? Interview mit einer Ernährungsberaterin

Antje: Ich stelle auch öfters einen Eiweißmangel fest bei Menschen mit einem auffällig hohen Stress- und Angstempfinden. Das mag Zufall sein, aber wenn die Eiweißversorgung verbessert wird, gehen die Symptome oft zurück. Plausibel wäre es insofern, als dass das Serotonin z. B. aus der essentiellen Aminosäure Tryptophan gebildet wird. Das heißt, wir sind auf die Zufuhr über die Nahrung angewiesen und wenn wir insgesamt zu wenig Eiweiß essen, nehmen wir aller Wahrscheinlichkeit nach auch zu wenig Tryptophan zu uns. Zu viel Fruchtzucker (Fructose) kann auch ein Problem sein, wenn parallel eine unerkannte Fructosemalabsorption vorliegt. Eine Fructosemalabsorption führt zu einer verminderten Aufnahme von Tryptophan aus der Nahrung, sodass weniger Serotonin gebildet wird. Deshalb Obst am besten nur als Ganzes essen und isolierten Fruchtzucker (z. B. Agavensirup!!) meiden. Und eine Unterversorgung mit essentiellen Vitaminen und Mineralstoffen kann diese Symptome ebenfalls verstärken. Leider wird im großen und kleinen Blutbild nur sehr wenig nach der Mikronährstoffversorgung geschaut, die meisten Messungen sind Selbstzahlerleistungen. Wichtig sind in diesem Bezug vor allem die B-Vitamine. Auch Lebererkrankungen und eine Schilddrüsenerkrankung können sich negativ auf die Symptomatik auswirken und sollten regelmäßig gecheckt werden.

Lisa: Mein Bauchgefühl hat mich also nicht getäuscht. Danke liebe Antje, dass du so in die Tiefe gegangen bist. Ich glaube, zu diesem Thema gibt es noch so viel zu sagen und man kann sich stundenlang darüber unterhalten. Aber was ich jetzt für mich noch mitnehme: Möglichst ganze Lebensmittel essen, das ist wirklich ein sehr einfacher und umsetzbarer Tipp! Hinterlasse mir gerne auf Social Media ein paar Zeilen, ob dich das Thema Zucker interessiert und wie dir dieser Beitrag gefallen hat. Besuche auch Antje Behrendt auf ihrem Blog, sie hat dort übrigens auch richtig leckere Rezepte.

Werbung
Unterstütze uns durch einen Einkauf bei unseren Partner-Shops. Vielen Dank! Lebenskraftpur Ecco verde Kulmine The Local Water grundstoff amo como soy Elkline kildwick Keimling WEtell Bücher.de ich lebe grün!

Über Antje Behrendt

Antje Behrendt ist Apothekerin und Ernährungsberaterin in Berlin, 3-fache Mama und sie betreibt den Blog Healthy Bites mit den dazugehörigen Social Media Accounts. Sie möchte andere dazu motivieren, gesünder zu essen und gesünder zu leben. Was sie begeistert, sind die Möglichkeiten der Prävention und ganzheitliche Therapieansätze mit dem Ziel, Krankheiten vorzubeugen und wenn sie doch schon da sind, an der Ursache zu arbeiten, anstelle die Symptome zu kaschieren.

An dieser Stelle noch ein UPDATE: Seit Anfang 2024 habe ich mein neues Projekt “Einfach leben, mehr sein” ins Leben gerufen, du findest es auf www.lisa-albrecht.de. Es ist die Fortsetzung von diesem Blog, aber auf einer völlig anderen Ebene. Ich freue mich, dich dort zu sehen! Alles liebe, Lisa.

Veröffentlicht am 22. März 2023.
Lisa Albrecht
Lisa Albrecht
Gründerin & Autorin
Ich bin immer auf der Suche nach ganzheitlichen Lösungen für mehr Gesundheit und Balance im Leben. Ich liebe das Meer, veganes Vanille-Eis und unsere Erdbeeren aus dem Garten.
x