Wie Panikattacken mein Leben bestimmt haben
Darüber spricht man nicht. Doch sehr viele Menschen sind von Angst- und Panikattacken betroffen. Es ist ein Tabu-Thema, weil es irgendwie peinlich ist. Man möchte nicht als komisch oder sogar verrückt abgestempelt werden. Schließlich fehlt einem körperlich nichts. Das betrifft eben unsere Psyche. Und psychische Erkrankungen sind zwar heute durchaus "anerkannt", aber haben trotzdem ein wenig den Stempel, dass man irgendwie „anders" ist. Oft wird von anderen dieses Problem verharmlost. Sprüche wie "Ach, nimm es nicht so ernst" und "Was soll schon dabei passieren?" hört man als Betroffener öfters. Eine Panikattacke kann man als Außenstehender nicht wirklich nachempfinden. Ich habe mir stattdessen immer ein Gipsbein gewünscht. Also wird sowas gerne auch einfach verschwiegen. Ich hatte sehr viele Jahre Panikattacken - mir wurde es auch irgendwann schriftlich von einem Arzt bescheinigt. Agoraphobie mit Panik stand auf dem Zettel. Was ist das überhaupt? Laut Wikipedia ist Agoraphobie nichts anderes als eine Angststörung, die man auch als Platzangst bezeichnen könnte. Ich zitiere: „Hauptmerkmal der Agoraphobie ist eine grundlose oder unrealistisch starke Angst vor bestimmten Orten oder Reisen. Diese Angst entzieht sich der willentlichen Steuerung und kann auch durch rationale Argumente nicht beseitigt werden. Die Betroffenen zeigen in der Regel ein starkes Vermeidungsverhalten, da in unterschiedlichem Ausmaß Panikattacken auftreten können. Die Angst kann sich darauf beschränken, öffentliche Plätze oder Geschäfte zu betreten, wobei oft speziell Menschenansammlungen vermieden werden. In ausgeprägten Fällen setzt die Angst bereits in der Wohnung ein, sodass diese nicht mehr verlassen wird." Diese Angststörung ist bei jedem sehr unterschiedlich ausgeprägt. Und es kann auch sein, dass mehrere Angststörungen miteinander zusammenspielen.
Wie sieht denn so eine Panikattacke aus?
Eine Panikattacke kann man nicht einfach übersehen. :-) In meinem Fall war es so, dass ich bereits in meiner Kindheit Situationen hatte, in denen ich bestimmte Symptome spürte. Nur, da wusste ich noch nicht, dass das eine Panikattacke war. Bestimmte Erlebnisse in meiner Kindheit lösten bei mir Angstzustände aus, die ich dann mit gewissen Gegenstategien wie Vermeidung oder Hilfsmitteln anging. Damit du mir folgen kannst, beschreibe ich am besten, wie bei mir so eine übliche Panikattacke ablief. Ich spürte in der Situation (oder bereits vor der Situation) einen Anflug von Angst, ein Kälteschauer am Körper, ein wenig Schwindel und starkes Herzklopfen. Mir wurde heiß und kalt. Manchmal fing ich an zu zittern und mir wurde sehr übel. Dabei musste ich mich aber nie übergeben. Ich hatte dann in so einer Situation sehr große Angst, dass mir etwas Schlimmes passiert. Die Angst war ziemlich heftig und ging in Richtung Todesangst. Solche Panikattacken bekam ich immer, während ich unterwegs war. Zuerst alleine, dann auch mit anderen. Sobald ich mich von Zuhause entfernte, konnte so eine Panikattacke jederzeit auftreten. Später hatte ich auch zu Hause Panikattacken, als es mir sehr schlecht ging. In so einer Situation bin ich ziemlich gefangen und nicht fähig, weiter zu reisen oder etwas zu unternehmen. Menschen von außen denken meist, dass ich einen Herzinfarkt habe. Ich sehe dabei sehr blass, ängstlich und benommen aus. Mir war so eine Situation in der Öffentlichkeit sehr unangenehm und das trägt ebenso dazu bei, dass sich die Symptome verstärken.
Bereits in der Kindheit erste Anzeichen
Nun, bereits als Kind konnte ich nicht gut verreisen. Mir wurde schon immer schlecht im Auto (Rücksitz) oder Bus (egal wo), ich bin sehr empfindlich, wenn es wackelt. Damit sich aber so ein Krankheitsbild entwickelt, müssen meiner Meinung nach einige Faktoren mehr zusammen kommen. Alleine die Tatsache, dass es mir schlecht beim Fahren wurde, reichte in meinem Fall nicht aus. Es spielten noch andere Faktoren rein, wie das Verhalten anderer Menschen (Erziehung, Reaktionen) und meine Persönlichkeit (z. B. Selbstwertgefühl, starkes Körpergefühl, diverse Erfahrungen). Das alles kann ich dir heute so klar sagen, weil ich sehr viele Jahre damit verbracht habe, alle Puzzlestücke zusammenzufügen und zu verstehen, warum ich überhaupt Panikattacken habe bzw. hatte. Nach einer erfolgreichen Therapie und langer Selbstanalyse kenne ich die Ursachen sehr genau, ebenso die Wurzel meiner Symptome. Mit Sicherheit kann ich auch sagen, dass mir die alleinige Behandlung der Symptome niemals geholfen hätte. In meinem Fall waren Panikattacken ein sehr wichtiger Hinweis, dass ich sehr vieles aufarbeiten muss, was mir im Leben passiert ist. Meine Panikattacken kamen nie „aus heiterem Himmel“, obwohl sie sich immer so angefühlt haben. Sie resultierten aus einem Zusammenspiel vieler Erlebnisse und Erfahrungen.
Was kann man gegen Panikattacken tun?
Nachdem ich immer wieder Panikattacken hatte und mir deutlich wurde, dass das keine körperlichen Probleme sind (denn davon geht man zuerst immer aus!), las ich sehr viel darüber in Büchern und dem Internet. Es wird einem immer das Gleiche empfohlen – einen Besuch beim Arzt, der einen ggf. zum Psychotherapeuten weiter schickt. Da ich damals noch sehr jung war und keine Erfahrung hatte, hörte ich natürlich auf meine Hausärztin. Ihr Mann war zufällig Psychotherapeut (gemeinsame Praxis) und ich bekam bei ihm einen Platz. Ich fühlte mich aber bereits bei der ersten Sitzung nicht sehr wohl. Er erzählte mir, dass er selbst gerne extreme Situationen ausprobiert, damit er mit seinen Patienten „mithalten“ kann. Ich soll mich doch ein wenig „enger“ Kleiden, damit ich bei einer Panikattacke eine bessere „Stütze“ habe, mich während der Situation entspanne und wenn dies nicht klappt, zu einem kleinen Fläschchen Alkohol greifen, das ich in meiner Handtasche dabei haben sollte – dies würde mich dann auf jeden Fall entspannen. Ich traute meinen Ohren nicht! Alkohol? Ist das seine ernstgemeinte Therapie? Er könnte mir auch Medikamente verschreiben, damit ich meinen Alltag einigermaßen hinbekomme. Dies lehnte ich ab. Ich war noch nie ein Freund von Medikamenten, wenn sie sich vermeiden lassen. Und Alkohol habe ich bis heute nicht getrunken. Ich war noch einmal bei ihm und sagte, dass es mir schon deutlich besser ging. Zu mehr hatte ich einfach keine Kraft und war dann einige Jahre mir selbst überlassen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Diese Erfahrung musste ich dann bitterlich machen, als es mir sehr schlecht ging. Da hat dann nichts mehr funktioniert. Mein Zustand hat sich dann so „spontan“ verschlimmert, dass ich ständig und überall Panikattacken hatte. Es fühlte sich auch wie Burnout an, kombiniert mit Panikattacken. Ich wusste nicht mehr, was ich alles nun habe und kam kaum zurecht. Ich war schon kurz davor, mich stationär in eine Klinik einweisen zu lassen. Natürlich bekam ich keinen Platz (auf die Schnelle) und rief bei einem in der Nähe behandelnden Psychotherapeuten an. Er hatte Zeit und ich durfte nach wenigen Tagen bereits kommen. Das glich einem Wunder! Wenn er denn Zeit hatte, dachte ich, dass er nicht besonders gefragt war. Aber jeder Strohhalm war mir recht. Um die schlimme Zeit überhaupt zu überstehen (auch schon früher), half mir das Buch Angst! Hilfe in der ersten Not von Claudia Mandorf sehr. Ich empfehle es jedem, der akut nicht weiß, wie es weiter gehen soll. Und natürlich muss ich dazu sagen, dass ich immer von meinem damaligen Freund (und jetzt Ehemann) liebevoll und verständnisvoll begleitet und unterstützt wurde.
Ich nahm alles in die Hand
Niemand kennt dich besser, als du selbst. Das wurde mir klar, als ich bei dem neuen Psychotherapeuten zum ersten Mal saß. Er hat wenig gesprochen, er hat mal dies und jenes gefragt und ich fühlte mich, als ob ich Selbstgespräche führe. Es nervte mich, dass ich alles selbst in die Hand nehmen musste. Dabei wusste ich selbst nicht, was ich nun machen soll. Also saß ich da bei ihm in der Sitzung und rekonstruierte mein Leben. Zur dritten Sitzung kam ich zu ihm und er meinte plötzlich: „Bitte entschuldigen Sie, dass ich am Anfang der Behandlung versäumt habe, sie über ihre Vorgeschichte zu befragen. Ich habe an so vieles einfach nicht gedacht und mir war nicht klar, was bei Ihnen früher los war.“ Woher denn auch? Er kannte mich doch kaum. Zum Glück war ich so offen und habe ihm einfach losgelöst erzählt. Alles kam zur Sprache: Meine Kindheit, der Landeswechsel inkl. Verluste und Probleme, die neue Sprache, wiederkehrende (Alp)Träume, Ängste, mein Umfeld früher und heute, der Job und vieles mehr. Dabei habe ich erzählt und er zugehört. Er hat wenig gesagt. Irgendwann kam ich mit einem Tagebuch, wo ich meine Panikattacken aufgeschrieben habe. Ich zeichnete eine Tabelle und bewertete die Attacken nach ihrer Intensität. Ich kam immer mit neuen Ideen und er wunderte sich über meine aktive Herangehensweise. Auf die Frage, ob ich jemals meine Angst loswerden könnte, konnte er nicht antworten. Schließlich ist sowas sehr individuell. Ich saß also in der Therapie wie ein Detektiv, zerlegte mein Leben in Stücke und schaute sie mir genauer an. Dann fügte ich sie zusammen. Dabei warf er sehr wichtige Dinge ein, kleine Bruchstücke, die mir zum Verständnis gefehlt hatten. Er hatte einfach einen anderen Blickwinkel und häufig kam ich mit einem Aha-Effekt nach Hause. Da wir eine Sitzung in der Woche hatten (und die Therapie dauerte gar nicht sehr lange), hatte ich Zeit, um wieder schön zu reflektieren. Nach und nach verstand ich, was bei mir eigentlich los ist. Ich hatte gar nicht den direkten Zusammenhang mit den Panikattacken hergestellt, es war viel mehr. Es war ein grundsätzliches Verständnis meiner inneren Welt. Ich wusste nun, dass ich für viele Dinge in meinem Leben überhaupt nicht verantwortlich war (und bin). Die Situationen, die früher passiert sind, haben mit Heute nichts zu tun. Nur werden sie natürlich im Gehirn heute abgerufen, da ich nun mal diese Erfahrung in mir habe. Aber mit den neuen Erkenntnissen habe ich nun gelernt, dass ich auch neue Wege in meinem Kopf „anlegen“ und sie auch gehen kann. Irgendwann werden die alten Muster blasser, so wie ein Weg, der mit Gras zuwächst. So ähnlich war es auch mit meinem Gesamtzustand und den Panikattacken.
Verständnis reicht nicht aus, man muss auch etwas tun
Theoretisch habe ich also alles verstanden. Ich muss dazu auch sagen, dass ich es nicht gefühlt habe. Es war wirklich sehr theoretisch. Die Gefühlsebene war bei mir sehr oft ausgeblendet. Ich hatte keine Emotionen. Manchmal brach ich zusammen und konnte dann erstmal einige Tage nichts anderes machen, als durchzuheulen. Dann war meist ein Knoten geplatzt und ich kam weiter. Ich habe also irgendwann, nachdem ich meine Situation begriffen habe, angefangen, aktiv zu handeln. Es bringt nichts, alles zu begreifen und sein altes Leben weiter zu leben. Dann rutscht man wieder in alte Strukturen. Wichtig ist, dass man sich klar wird, dass nun Veränderungen anstehen. Ich habe mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich habe die Vergangenheit losgelassen (ohne Schuldzuweisungen), wechselte meinen Job und zog um. Ich merkte plötzlich, was mir guttut und was nicht. Ich wollte nicht mehr funktionieren und mich in mein „Schicksal“ fügen. Es tat mir schließlich nicht gut, das habe ich ja gemerkt. Ich machte plötzlich Dinge, die ich seit meiner Kindheit tun wollte und holte das nach, was mir so gefehlt hatte (obwohl mir das gar nicht bewusst fehlte!). Und nach und nach besserte sich mein Zustand. Ich wurde immer stabiler, stärker und selbstbewusster. Ich bekam ein sehr gutes Gefühl für das, was ich möchte. Ich hatte Zukunftsvisionen.
Wie geht es mir aktuell?
Heute geht es mir sehr gut. Ich schreibe diesen Beitrag, bin nur ein wenig aufgeregt, weil es ja doch etwas emotional ist. Aber ich bin ziemlich entspannt, denn ich habe vor wenigen Tagen meine erste weite Reise alleine (mit Kleinkind) gemacht. Quasi als Ende meiner Therapie – wobei ich sagen würde, dass man nie auslernt. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Panikattacken überhaupt hatte. Meine letzte Panikattacke kam ca. im Jahr 2012. Diese Erkrankung hat mir gezeigt, dass ich mein Leben verändern muss. Sie hat mich einfach dazu gezwungen! Hätte ich sie nicht, wäre mein Leben jetzt ganz anders, weniger authentisch und selbstbestimmt. Und ich hätte nicht so viel über mich erfahren und gelernt. Ich hätte niemals so viel Verständnis dafür gehabt, warum ich jetzt so bin, wie ich bin. Ich möchte mich bei meiner Krankheit bedanken, weil sie mir so viel gezeigt und mich so stark gemacht hat. Und diesen Beitrag schreibe ich für alle Menschen, die vielleicht auch gerade erst am Anfang stehen – es gibt immer einen Weg. Mag sein, dass er kompliziert und schwer ist. Ich lächelte früher auch nur müde, wenn man mir gesagt hat, dass es besser wird. Ich bin sehr dankbar, dass ich nun hier sitze und sagen kann: „Es ist nun soweit, es ist wunderbar!“. Und irgendwann kommt auch der Zeitpunkt, dass auch du das sagen kannst. Man muss nur dran bleiben, das Leben in die Hand nehmen, die volle Verantwortung übernehmen, selbst aktiv werden und nach der Ursache forschen. In meinem Fall war das die optimale Lösung.
An dieser Stelle noch ein UPDATE: Seit Anfang 2024 habe ich mein neues Projekt “Einfach leben, mehr sein” ins Leben gerufen, du findest es auf www.lisa-albrecht.de. Es ist die Fortsetzung von diesem Blog, aber auf einer völlig anderen Ebene. Ich freue mich, dich dort zu sehen! Alles liebe, Lisa.
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