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Abgeschoben in die Hauptschule! Ist mein Traum geplatzt?

Lisa Albrecht
Lisa Albrecht

Mir liefen Tränen über die Wangen, während andere sich voller Freude nach Hause aufmachten. Es gab Zeugnisse, das Schuljahr war um. Es fühlte sich so bitter an. Ich bin sitzengeblieben. Ich! Und das, obwohl ich mich doch so angestrengt habe und niemals schlechte Noten hatte. Ich gehörte immer zu den Klassenbesten. Wie war das also möglich? Nun, in dem man einfach in ein anderes Land auswandert. In meinem Fall war das Deutschland. Ich muss gerade beim Schreiben grinsen. Denn weißt du was? Ich konnte vor genau 20 Jahren noch kein Wort Deutsch. Und nun arbeite ich als Blogger. Ach, hätte mir das doch damals jemand gesagt, dann hätte ich sicher nicht geweint und wäre nicht so verzweifelt gewesen.

Nicht versetzt

Was kann dieses Kind überhaupt?

Die allererste Schule, die ich in Deutschland besucht habe, war eine Hauptschule in einer Stadt mit 20.000 Einwohnern. "Evangelisch oder katholisch?" fragte mich jemand im Sekretariat bei der Einschulung. Diese beiden Wörter höre ich bis heute, wenn ich an das erste Vorstellungsgespräch in der Schule denke. Nein, weder noch. Ich besuchte den Ethik-Unterricht. Interessant, dass das die einzige Frage war, die damals mir gestellt wurde. Doch niemand von den Lehrern kam auf die Idee mal zu gucken, für welchen Schulzweig ich denn überhaupt geeignet war. Was für ein Kind bin ich, was kann ich? Wir lebten eine Zeitlang in Bayern und dort ist die strikte Trennung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium üblich. Niemand wollte meine Zeugnisse sehen oder einen Eignungstest machen. Passt eine Hauptschule zu mir? Ist die fehlende Sprachkenntnis ein Argument dafür, dass man nur in die Hauptschule gehen darf? Es geht doch um so viel mehr in der Schule, als nur darum Wissen zu erlernen.

Das alles wurde mir erst später klar, als ich merkte, wie schwierig mein Weg eigentlich war. Während andere Schüler doch noch die Möglichkeit hatten, nach der 6. Klasse der Hauptschule auf die Realschule zu wechseln (vorausgesetzt sie hatten gute Noten), war das für mich außer Reichweite. Ich kam gerade erst dazu. Ich wollte auch gerne wechseln, doch der Zeitpunkt war total unglücklich. So landete ich in der 6. Klasse, wiederholte sie noch einmal und erst dann kam ich ein wenig vorwärts.

Hauptschule

Das geht mit einem Hauptschulabschluss nicht!

Eines Tages fuhr meine Klasse in ein Berufsinformationszentrum, abgekürzt BIZ. Der dort zuständige Leiter zeigte uns, welche Berufsbilder für die Hauptschüler im Regal stehen und angeschaut werden durften. Ich interessierte mich für den Friseur, den Schaufensterdekorateur und den Floristen. Das alles waren kreative Berufe, die mit einem Hauptschulabschluss möglich sind. Mein Blick wanderte am Regal weiter nach oben, in die "verbotene Zone" und ich entdeckte den Grafik-Designer. Mein Herz hüpfte. Wow, ist das nicht der Beruf, wo man die knalligen Magazine und große Plakate gestaltet? Ich hatte bereits eine vage Vorstellung. Ich besuchte einige Jahre eine Kunstschule und liebte es, kreativ zu sein. Zeichen ist mein Hobby. Auf dem Info-Ordner stand der Hinweis, dass es auch ein Video zu diesem Berufsbild gibt. Ich musste mich ganz schön überwinden. Ich ging zum BIZ-Leiter und bat ihn, mir den Film zu geben. Verdutzt guckte er mich an. Ich konnte an seinen Augen seine Gedanken erkennen. "Eine Hauptschülerin, die noch nichtmal richtig Deutsch kann, will den Grafik-Designer sehen - aha, alles klar." Ich blieb solange stehen, bis er mir das Video in die Hand drückte. Ich war verliebt in den Grafik-Designer! Also in das Berfusbild. :-) Genau mein Ding!

Leuchtend kam ich wieder zur Theke, um die Videokassette abzugeben. Der Leiter meinte nur: "Dieser Beruf ist nur für Gymnasiasten. Dafür muss man studieren. Das geht mit einem Hauptschulabschluss nicht." Er hat mich abgeschrieben, das war mir ganz klar. Ich fühlte im Bauch einen Stich. Aber auch etwas anderes. In mir entflammte ein Feuer. Ein sehr heißes und zähes Feuer. Ich hatte ein Ziel. Ich will Grafik-Designer werden.

Es war meine einzige Chance

Schnell war mir klar, dass ich nicht länger in der Hauptschule bleiben wollte. Ich hatte ein großes Glück! Genau zum nächsten Schuljahr gab es die Möglichkeit, auf den Realzweig zu wechseln. Es gab spezielle M-Klassen (M steht für mittlere Reife) und sie waren für genau solche Fälle wie mich gemacht, für späte Umsteiger. Ich hatte inzwischen sehr gute Noten und war meinem Lehrer dafür dankbar, dass er mich auf diese Möglichkeit überhaupt aufmerksam gemacht hat. Ich wechselte natürlich bei nächster Gelegenheit. Vorsichtshalber habe ich meinen Hauptschulabschluss mit einem Schnitt von 1,5 abgeschlossen, falls ich den mittleren Abschluss doch nicht packen sollte. Aber auch der war kein Problem. Ich musste zwar jeden Tag in die nächst liegende Stadt fahren, aber es hat sich gelohnt. Der glückliche Tag kam: Mit einem Zeugnis in der Hand (ich war die Zweitbeste des Jahrgangs) fuhr ich voller Freude nach Hause. Ich hatte den Realschulabschluss in der Tasche!

Ich ging übrigens zwischendurch auch zu einem Berufsberater. "Wie soll ich am Besten vorgehen, um Grafik-Designer zu werden?" war meine Frage. Der Berufsberater war ganz schön skeptisch. "Die künstlerische Eignungsprüfung für die Fachoberschule ist sehr schwer, du musst dein künstlerisches Talent vorweisen und sehr viele fallen durch. Du musst eine Alternative haben", war seine Antwort. Ich hatte Angst. Außerdem wurde mir gesagt, dass Realschüler es sehr schwer auf der Fachoberschule haben, schließlich ist das ein deutlich höheres Niveau, quasi von 0 auf 100. Ich bereitete mich auf die künstlerische Eignungsprüfung vor und nahm zusätzlich Kunstunterricht bei einer sehr inspirierenden Künstlerin. Ihre Tochter hatte die Eignungsprüfung der Fachoberschule bereits geschafft und somit konnte sie mir mit ihrer Erfahrung helfen und mich psychologisch unterstützen. Ich meldete mich mit allen Unterlagen an und nahm an der Eignungsprüfung teil. Ich erinnere mich heute noch so genau an die Atmosphäre, die bei der Prüfung in der Luft lag. Ich schaute nach links und rechts, fühlte mich sehr ruhig und richtig entschlossen, das Beste abzuliefern. Es war meine einzige Chance. Ich bin heute sehr stolz auf mich, denn ich habe die Eignungsprüfung bestanden. Und ganz ehrlich: Ich habe an mir nicht gezweifelt. Ich konnte es zwar nicht fassen, als ich die positive Antwort las, trotzdem wusste ich tief in mir drin, dass ich sie packen werde.

Ich habe immer schon viel gezeichnet

Der Horrortripp begann

Für den Schulbesuch (11. und 12. Klasse der Fachoberschule für Gestaltung) zog ich 400 km weit weg. Mit 16 Jahren von Zuhause auszuziehen, fiel mir nicht schwer, da ich schon immer sehr selbstständig war. Doch meine Freunde wurde schnell zu einem Horrortrip. Diese zwei Jahre waren so verdammt schwer. Ich fing an, an meiner Intelligenz zu zweifeln. Die Atmosphäre zwischen den Lehrern und Schülern war sehr unpersönlich, der Lernstoff wurde "durchgeprügelt". Ich hatte sehr oft das Gefühl, dass es den Lehrern ziemlich egal war, wo man gerade Schwierigkeiten hat. Der Unterricht glich einem Studium, es wurde nur einmal erklärt und der, der es nicht auf Anhieb kapiert hat, hat Pech gehabt. Die Hälfte unserer Klasse hatte eine 5 im Zeugnis. Mit zwei 5ern blieb man sitzen. Mit Ach und Krach habe ich es geschafft, in die Zwölfte zu kommen. Es war ein Nervenspiel und die schlimmste Schulzeit meines Lebens. Ich stand so unter Druck, ich wollte so gerne studieren. Mir ging es gar nicht mehr um gute Noten. Ich wollte nur noch irgendwie durchkommen. Die zwölfte Klasse war noch härter. Und dann kam der Tag der Wahrheit. Ich sitze in der Turnhalle und schreibe die Abschlussprüfung der 12. Klasse. Ich schaue mir die Mathe-Aufgaben an und bekomme schwitzige Hände vor Panik. Die Blätter gebe ich am Ende der Zeit fast leer ab, weil ich nicht weiterkomme. Ich habe mir keine Hoffnung gemacht, ich fiel durch. In so einem Moment bin ich sehr dankbar, dass ich liebe Menschen um mich herum hatte, die mich unterstützt haben. Ich konnte mir unmöglich vorstellen, an dieser Schule - die für mich so negativ war - noch einmal einen zweiten Anlauf zu starten. Ich wollte einen Neuanfang. Übrigens, einige aus unserer Klasse mussten die 12-te wiederholen. Ob die Quote normal war, weiß ich bis heute nicht.

Ich bin absolut kein Mathegenie

Ein Schulwechsel war meine Lösung! Ich zog um und besuchte die 12. Klasse einer Fachoberschule in Hessen, wo ich bis heute wohne. Es ist immer schwer, neu anzufangen. Die Klassendynamik hat sich bereits entwickelt und wenn man dazu kommt, fühlt man sich zuerst wie ein fünftes Rad am Wagen. Aber es wurde schnell besser. Die wenigsten wussten, warum ich eigentlich gewechselt habe. Und keiner konnte es richtig nachvollziehen, denn ich hatte richtig gute Noten. Natürlich habe ich mich sehr ins Zeug gelegt. Aber es lag nicht nur an mir. Die Atmosphäre und die Lehrer waren anders. Diese Schule hat sich um ihre Schüler gekümmert und die Lehrer haben den Stoff nicht einfach durchgeprügelt, sondern tatsächlich erklärt. Ich hatte plötzlich riesige Aha-Momente im Unterricht. Ich konnte Wissenslücken schließen und sogar anderen Schülern, die Hilfe brauchten, die Zusammenhänge erklären. Damit ihr versteht, wovon ich rede: Ich habe in meiner Abschlussprüfung eine Eins in Mathe geschrieben. Nicht mal ich habe das von mir gedacht, denn ich bin absolut kein Mathegenie.

Diplom
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Das Ziel zum Greifen nah

Als ich die 12. Klasse der Fachoberschule wiederholt habe, hatte ich die künstlerische Eignungsprüfung für das Design-Studium bereits in der Tasche. Meine Bewerbungsmappe war gut und beim persönlichen Gespräch lief alles wie am Schnürchen. Das Studium konnte ich ohne Probleme innerhalb der normalen Regelstudienzeit mit einer guten Note abschließen. Es war ein unglaublicher Tag für mich, als ich meine Diplomarbeit den prüfenden Dozenten vorgestellt hatte. Ich war aufgeregt und gleichzeitig einfach nur glücklich. Ich habe es geschafft! Ich habe so gekämpft und ich habe es geschafft! Ich möchte euch allen Mut machen, an euren Träumen festzuhalten. Es gibt immer Wege zum Ziel. Mag sein, dass sie nicht immer geradelinig sind, aber es gibt sie. Man muss nur dran bleiben, Feuer fangen, nicht aufgeben und kämpfen!

An dieser Stelle noch ein UPDATE: Seit Anfang 2024 habe ich mein neues Projekt “Einfach leben, mehr sein” ins Leben gerufen, du findest es auf www.lisa-albrecht.de. Es ist die Fortsetzung von diesem Blog, aber auf einer völlig anderen Ebene. Ich freue mich, dich dort zu sehen! Alles liebe, Lisa.

Veröffentlicht am 16. Oktober 2016.
Lisa Albrecht
Lisa Albrecht
Gründerin & Autorin
Ich bin immer auf der Suche nach ganzheitlichen Lösungen für mehr Gesundheit und Balance im Leben. Ich liebe das Meer, veganes Vanille-Eis und unsere Erdbeeren aus dem Garten.
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