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Die pink-blaue Industrie hat uns voll im Griff

Sandra
Sandra

Ich muss gestehen, als ich das erste mal als Mama seit langem wieder in der Kinderabteilung war, sei es Kleidung oder Spielzeug gewesen, war ich total schockiert. Klar gibt es für Mädchen überwiegend rosa und für Jungs überwiegend blau, aber dass beinahe ausschließlich diese beiden Pole bedient werden, hätte ich in der heutigen Zeit nicht erwartet. Dabei war es noch vor hundert Jahren umgekehrt. Kaum vorstellbar, aber rosa (als rötliche Farbe) galt als kräftiger und steht für Blut und Kampf - und für Männlichkeit.

Zwangsrosa in unserem Kleiderschrank

Rosa-Welt beim Mädchen

Ich bin wirklich kein Typ für Rosa, Rüschen, Glitzer etc. Eigentlich weiß mein kompletter Bekanntenkreis das auch, trotzdem ist fast der ganze Kleiderschrank meiner Tochter in rosa getaucht. Das liegt vor allem auch an der Secondhandkleidung, die ich bekommen habe (weshalb ich ihr selbst auch so gut wie nie etwas zum Anziehen kaufte). Aber es werden meiner Tochter auch oft rosa Klamotten geschenkt, mit dem Zusatz: „Ich weiß, du magst kein rosa, aber es gab einfach nichts anderes“. Da frage ich mich doch: Muss das sein? Warum kann Babykleidung nicht ein größeres Spektrum an Farben abdecken, damit auch andere Geschmäcker bedient werden? Sollten wir nicht längst aus so einem ein- bzw. zweitönigen Denken herausgewachsen sein? Unsere Kinder sind doch deutlich vielschichtiger, als dass sie nur in kleine Glitzerprinzessinnen und Draufgänger aufgeteilt werden können.

Auf Bäume zu klettern ist mit Hosen einfacher

Klar sind das Meiste davon nur Oberflächlichkeiten. Tatsächlich glaube ich aber, dass dahinter ein tiefliegendes Problem steckt. Ein Beispiel: Klar könnte ein Mädchen im Rosa-Rüschen Kleid auch in eine Pfütze springen und sich dreckig machen, es wird davor aber wahrscheinlich mehr Hemmungen haben und sich nicht dreckig machen wollen (nach dem Motto "Du hast aber ein hübsches Kleid an!"). Auch auf Bäume klettern ist mit Hosen deutlich einfacher. Ich habe für mich irgendwann festgestellt, dass es keinen Sinn macht, meinem Kind irgendetwas anzuziehen, bei dem ich Angst habe, es könnte dreckig werden oder gar kaputt gehen. Kinder sollten doch wirklich erst einmal Kinder sein und spielen, sich dreckig machen dürfen, alles Mögliche ausprobieren und scheitern oder über sich hinauswachsen.

Gleiches Verhalten, eine andere Bedeutung

Aber von Anfang an scheinen fast alle Konsumgüter, die für Kinder bestimmt sind, ihnen einen ganz bestimmten Weg vorzulegen und zwar ganz klar nach Geschlecht getrennt. Das kann für ein impulsives, dominantes Mädchen ebenso schwierig sein, wie für einen sensiblen, zurückhaltenden Jungen. Die kleinen Dinge werden oft übersehen. So wird einem kleinen Mädchen, das gerne mit dem Handy spielt ganz klar unterstellt, es rede natürlich gerne und viel – einem Jungen bei gleichem Verhalten, er sei bestimmt technisch interessiert. Außerdem wurde festgestellt, dass in Kindergärten Mädchen automatisch länger getröstet werden. Wenn es nach draußen zum Spielen geht, ist es klar, dass erst den Jungs die Jacken angezogen werden und die Mädchen warten müssen, weil Jungs natürlich einen viel stärkeren Drang haben, draußen aktiv zu sein. Das mag nicht überall so sein. In Schweden aber wurden extra Kindergärten eingerichtet, die speziell geschlechtsunspezifisch mit den Kindern umgehen. Überhaupt geht dort der Trend sehr zu Unisex, was Namen oder Kleidung etc. angeht.

Prinzessinnen-Kleid, Prinzessinnen-Puppe, Prinzessinnen-Film

Aber im Großen und Ganzen scheint die pink-blaue Industrie weiterhin hervorragend zu funktionieren. Ein kleines Mädchen kann mittlerweile, während sie ihren Lieblingsprinzessinnen-Film schaut, mit der original Prinzessinnenpuppe aus jenem Film spielen und dabei die Kopie des Prinzessinnenglitzerkleides in ihrer Größe tragen. Als würden kleine Mädchen selbst nichts anderes als Puppen sein. Natürlich habe ich mich als Mama einer Tochter mehr mit dem Problem auf der weiblichen Seite beschäftigt. Irgendwann war ich regelrecht wütend auf die Gesellschaft. Das Spielzeug lässt kleinen Mädchen ja keine Zweifel, wie sie sich geben müssen, um in der Gesellschaft akzeptiert zu sein. Jeder kennt wohl Barbiepuppen: Eine Frau, deren Füße ausschließlich in High-Heels passen und eine derart schlanke Taille hat, dass sie als lebender Mensch einfach umfallen würde. Aber Barbie gab es immerhin noch als Ärztin, mit Outfit und passendem Zubehör. Die modernen Puppen, die in Richtung Barbie gehen, sind noch magersüchtiger, noch stärker geschminkt, noch knapper angezogen und beschäftigen sich ausschließlich mit ihrem Äußeren. Es ist ja kein Geheimnis, dass die westliche Zivilisation vollkommen übersexualisiert ist. Deswegen ist Stillen in der Öffentlichkeit auch für viele ein solches Problem. Kaum vorstellbar, dass Brüste noch für etwas anderes da sein sollen, denn als Sexobjekt?! Ich las mal ein Zitat einer Hebamme, sie schrieb in etwa: „Als ich die schwangere Frau fragte, ob sie eigentlich stillen wollte, mischte sich ihr anwesender Mann ein und sagte: Sie machen mir meine Spielewiese nicht kaputt!“…

Rosa wird einem in die Wiege gelegt

Rosa und Blau dominieren im Kleiderschrank

Der Weg dorthin fängt doch irgendwie bei der Babyausstattung an. Von vornherein werden wir getrimmt, bei Mädchen alles so puppenhaft wie möglich zu gestalten. Automatisch geben wir ihnen zu verstehen, dass ihr Äußeres wichtig ist, allein wenn sie ein Kleid tragen und wir uns darüber freuen, wie niedlich das ist. Auch ich kann mich schlecht dagegen wehren, denn auch meine Tochter sieht in einem Kleid nunmal superniedlich aus. Als ich allerdings sah, wie sich meine Zweijährige vor dem Spiegel drehte und sich darüber freute, fand ich das doch etwas befremdlich. Aber sie verhält sich ja geschlechtertypisch. Schwierig wird es für Kinder besonders, wenn sie das gerade nicht tun. Ich kenne einen Vierjährigen, dessen Lieblingsfarbe Rosa ist, aber natürlich auf keinen Fall etwas rosafarbenes tragen darf. Natürlich wollen manche Eltern, dass jeder sofort sieht, welches Geschlecht das eigene Kind hat, wenn das noch nicht sofort ersichtlich ist. Manche Eltern fühlen sich auch gekränkt, wenn das Baby fälschlicherweise für einen Jungen oder für ein Mädchen gehalten wird. Aber warum muss das denn so wichtig sein? Kinder machen doch erstmal überhaupt keinen Unterschied und vor allem lachen sich Zweijährige auch nicht aus, wenn das andere Kind nicht geschlechtsspezifisch angezogen ist. Wenn sie es irgendwann doch tun, sollte doch immer bedacht werden, dass Kinder das Verhalten von Erwachsenen nur kopieren…

Jungs haben es manchmal schwieriger

Du bist doch ein großer starker Junge (also: Hör auf zu weinen / Trau dich) oder du bist doch ein hübsches Mädchen (also: Mach dich nicht dreckig / Sei nicht aufmüpfig) lösen etwas in unseren Kindern aus. Jungs sind nicht automatisch so weil sie Jungs sind und Mädchen sind nicht so, weil sie Mädchen sind… Alles um sie herum scheint ihnen nur zu erzählen, wie sie sein sollen. Wenn die Kinder von den vorbestimmten Weg abweichen, scheinen Jungs noch mehr mit Problemen konfrontiert zu sein. Männliche Attribute sind in unserer Gesellschaft viel höher angesehen als Weibliche. Das erkennt man allein daran, dass der Sportteil in den Nachrichten einen Großteil der Zeit einnimmt. Es sollte sich mal vorgestellt werden, jeden Tag würden in den Nachrichten die neuesten Modetrends vorgeführt werden. Wirkt lächerlich, oder? Dabei ist das eine nicht unbedingt besser oder wichtiger als das andere. Mit beiden Industrien werden Milliarden umgesetzt. Wenn jetzt ein Junge oder gar ein Mann klare Eigenschaften oder Neigungen zeigt, die doch eher dem weiblichen Geschlecht vorbehalten sind, ist er in der Masse der Gesellschaft direkt degradiert. Von anderen Männern, wie von Frauen. Im Gegenzug dazu ist eine Frau, die sich dann beispielsweise für Fußball interessiert sogar noch angesehener (solange sie dennoch die üblichen Vorstellungen einer Frau erfüllt).

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Habe ich bestimmte Vorstellungen?

Natürlich wird sich von Heute auf Morgen nichts ändern können. Und natürlich bestehen auch immense Einflüsse aus der Umwelt und vor allem den Medien. Trotzdem halte ich es für wichtig, bei sich selbst darauf zu achten, wann ich von meinem Kind eigentlich bestimmte Vorstellungen habe, nur weil es eben ein Mädchen oder ein Junge ist. Und vielleicht dann auch offener dem gegenüber zu sein, wenn sich das Kind eben gerade nicht so verhält und andere Interessen zeigt – oder aber genau die geschlechtertypischen Klischees erfüllt. Wenn wir unsere Kinder so lieben und respektieren wie sie sind, ganz egal ob sie den starken Jungen oder das sensible Mädchen verkörpern, sondern vielleicht gerade genau anders herum, dann werden sie zu starken Persönlichkeiten, die keine Angst haben so zu sein, wie sie sind, auch wenn sie vielleicht nicht in die Konformität der Gesellschaft passen.

Eure Sandra.

An dieser Stelle noch ein UPDATE: Seit Anfang 2024 habe ich mein neues Projekt “Einfach leben, mehr sein” ins Leben gerufen, du findest es auf www.lisa-albrecht.de. Es ist die Fortsetzung von diesem Blog, aber auf einer völlig anderen Ebene. Ich freue mich, dich dort zu sehen! Alles liebe, Lisa.

Veröffentlicht am 22. September 2016.
Sandra
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Gast-Autorin
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